Langeoog – Insel der Verbundenheit. Oder auch: Vom Gefühl, nicht mithalten zu können

Bin ich richtig hier?

Mit diesem Knall kurz vor dem Gießener Südkreuz begann vergangene Woche mein Urlaub. Ich war auf dem Weg nach Langeoog, wollte meine Freundin in Siegen einsammeln und am nächsten Tag mit der Fähre um die Mittagszeit auf die kleine ostfriesische Insel übersetzen. Durch den Auffahrunfall auf der Autobahn verzögerte sich mein Zeitplan etwas, was aber viel schlimmer war: Der Knall hinterließ eine tiefe Verunsicherung

Ich fand die Nächte darauf nur schwer in den Schlaf. Der Schock darüber, wie schnell es Krachen kann, hielt mich ebenso wach wie die Begegnung mit dem Unfallverursacher, der zunächst – völlig unter Schock stehend – behauptete, ich sei auf der falschen Spur unterwegs gewesen. War ich nicht. Später gestand er, dass er deutlich zu schnell gewesen war und mich übersehen hatte. Trotzdem bohrte sich seine Aussage tief in mein Herz hinein. War ich falsch unterwegs? Warum hatte er mich übersehen? War ich zu langsam für die vorgesehene Spur gewesen? 
Es war nicht das einzige Mal, dass ich in diesem Urlaub über meine Spur- und Tempowahl ins zweifeln kam.

Urlaub unter vielen

Die Auszeit am Meer war ein Geschenk meine Freundin (WAS NE FREUNDIN!💜💜💜). Wir fuhren in das Hotel, von dem ich ihr vorgeschwärmt hatte, nachdem ich ein Jahr zuvor meinen Geburtstag dort gefeiert hatte. Es war bereits mein achter Besuch im Hotel Bethanien. Zudem war es der erste Urlaub seit drei Jahren, den ich länger als zwei Nächte ohne meine Kinder verbrachte.

Und weil mir mein himmlischer Vater immer eine Prise mehr zumutet als ich mir selbst, fand genau zu diesem Zeitpunkt in genau diesem Hotel ein mehrtägiges Treffen von christlichen Influencerinnen und Autorinnen statt, zu denen ich mich zählen darf. Wenn schon Urlaub ohne Kiddos, dann richtig, dachte ich im Vorhinein und musste über diese Überschneidung schmunzeln. Ich glaub schon lang nicht mehr an Zufälle. 

Neben der Vorfreude auf meine Insel-Rückkehr, hatte ich jedoch auch eine große Tasche gefüllt mit Skepsis in den Kofferraum meines Seats verfrachtet: Wie würden Klein P und Mini O nach meiner Abwesenheit auf mich reagieren? Ich hatte bereits die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass eine längere Trennung zu einer emotionalen Distanzierung in der Mama-Sohn-Beziehung führen kann. Würde es diesmal besser funktionieren? Und würde mir die Balance zwischen intensiver Freundinnenzeit und ebenso intensiver „Kolleginnenzeit“ auf der Insel gelingen? Kann ich beiden Rollen überhaupt gerecht werden? Beides gleichzeitig erleben? Warum machte ich es mir wieder so kompliziert, wenn ich doch eigentlich „frei“ hatte? 

Selbstzweifel unter der lila Mütze

Vor meiner Abfahrt hatte ich einzelne Instagram-Profile der Ladies, auf die ich bei dem Treffen stoßen würde, gescannt und mich natürlich – wie sollte es auch anders sein auf dieser App – verglichen. Seitdem trug ich meine Selbstzweifel ebenso selbstverständlich mit mir rum wie meine lila Mütze. Der Unterschied zwischen mir und den anderen freischaffenden Creatorinnen fühlte sich scheinbar unüberwindbar an: Ich habe kaum Follower, kann auch keine Bücherregale mit meinen Veröffentlichungen füllen und besitze ebenso wenig ein bedeutendes Netzwerk, mit dem ich prahlen könnte.

Mich überkam das Gefühl, nicht mithalten zu können. Das „falsche“ Tempo gewählt zu haben; ein viel zu langsames Tempo, dass nicht zu der Spur passte, auf der sich die anderen befanden.

Gemeinschaft bedeutet nicht gleich sein

An einem windigen aber trockenem Februartag strandete ich schließlich mit meiner Freundin auf Langeoog. Ich stürzte mich in eine besondere Freundinnenzeit mit vielen tiergehenden Gesprächen am Strand und mindestens genauso viel gutem Kuchen.

Und ich genoß zwischendurch immer wieder die inspirierende und tiefsinnige Gesellschaft der Frauen im Hotel. Dabei fiel mir eines besonders auf: Diese Gruppe bestand nicht – so wie ich es ihnen unterbewusst unterstellt hatte – aus Menschen, die alle mit demselben Tempo auf derselben Fahrbahn demselben Ziel hinterherjagten. Ich hörte unterschiedliche theologischen Meinungen, nahm verschiedene Frömmigkeitsstile wahr, es gab unterschiedliche Arten, die eigenen Themen zu platzieren. In dieser Runde lachte nicht jede bei denselben Witzen und nicht jede wurde von derselben sozialen Not gleichermaßen tief bewegt.


Es war heilsam für mich zu sehen, dass Gemeinschaft nicht gleich sein bedeutet; dass Gemeinschaft Unterschiedlichkeiten erträgt, solang die Sehnsucht nach Verbundenheit vorhanden ist.

Diese Gemeinschaft fühlte sich für mich wie eine warme Umarmung der Selbstverständlichkeit an. Eine Umarmung, die mir sanft aber bestimmend die Angst nahm, mich erklären, beweisen oder an ein anderes Lebenstempo anpassen zu müssen. 

Inseln der Verbundenheit

Als meine Freundin und ich am letzten Abend auf der Insel in einer Kneipe saßen und der Barkeeper die Kartenzahlung erst ab 20 Euro akzeptieren konnte, bestellten wir noch eine Runde. Wir hatten Zeit. Weil ich kein fieberndes Kind in der Nacht versorgen musste und auf meine Freundin am nächsten Morgen keine Schüler im Klassenzimmer warteten. Wir hatten Urlaub. Wir beide. Zusammen. Egal, ob Single oder mit Kindern. Wir konnten den zweiten Drink gleichermaßen genießen und dabei herrlich über die Musikauswahl der Ostfriesen lachen. 
Es gibt diese Inseln der Verbundenheit. Trotz aller Unterschiede. Ob in Freundschaften, in Familie, in Kirchen oder unter Kollegen.

Im eigenen Tempo unterwegs

Montagvormittag: Ich bin wieder zu Hause. Alle anderen auch. Das Auto mit Knutscher hinten links steht auf dem Hof. Ich habe noch nicht ausgepackt, hänge am Handy und beobachte die Reels und Bilder auf Social Media, die vom Wochenende online gestellt werden. Ich komme kurz in Zugzwang, denke ich müsse jetzt auch etwas teilen, ohne zu wissen was. Dann besinn ich mich auf mein eigenes Lebenstempo mit dem ich auf meiner Spur unterwegs bin. Ich mache eine lange Sprachnachricht an eine Freundin, lege das Handy weg und beginne langsam zu verarbeiten. Bevor ich nicht zur Ruhe gekommen bin, finde ich sowieso keine Worte, denke ich und freue mich gleichzeitig darüber, dass es andere können

ZUM WEITERLESEN: Ich lese schon sehr lange den wunderbaren Blog von Sarah, sie hat ihre herrliche Perspektive auf die gemeinsame Zeit auf Langeoog in ihrem Artikel „Für Frauen, die denken sie seien zu viel“ festgehalten. Große Leseempfehlung! 💜

2 Antworten zu „Langeoog – Insel der Verbundenheit. Oder auch: Vom Gefühl, nicht mithalten zu können”.

  1. “ Es war heilsam für mich zu sehen, dass Gemeinschaft nicht gleich sein bedeutet; dass Gemeinschaft Unterschiedlichkeiten erträgt, solang die Sehnsucht nach Verbundenheit vorhanden ist.“

    Was für ein genialer Satz, ich glaube besser hättest Du ihn nicht formulieren können. Ich sitze hier und finde dieser Satz nimmt so viel Druck raus und erzählt gleichzeitig, dass es okay ist so unterschiedlich zu sein. Wenn wir trotzdem die Sehnsucht nach Verbundenheit haben. Und es ist aktueller den je im Hinblick auf so viele Lebensbereiche.

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    1. Oh ja, ich dachte auch irgendwie, dass es zu ziemlich vielen Bereichen in unserer Gesellschaft passt.
      Danke für deine wunderbare ermutigende Rückmeldung Vivien 😊

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