Von 2024 zu 2025: kalte Erinnerungen, rettende Rituale und neue Ziele

Heute war der letzte Sonntag, an dem ich von unserer Wohnung aus zu meinem Ölberg gelaufen bin. Nicht dem Ölberg, sondern meinem Ölberg. Der befindet sich gleich hinterm Haus und ist eigentlich eher ein Hügel. 2024 habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, den Sonntag auf diesem Berg zu beginnen. Nicht ganz oben, sondern auf halber Höhe steht eine Bank, die man nur erreicht, wenn man den normalen Trampelpfad verlässt. Ich saß dort dieses Jahr immer allein und habe die schönste Morgenröte beobachten dürfen.

Spiritueller Ort in 2024

Der Auf- und Abstieg zu dieser Bank waren in den vergangenen Monaten häufig die Rettung für mein überflutetes Hirn. Es waren die zwei Stunden, die ich brauchte, um wieder klar denken und sehen zu können. Um mich selbst zu sehen und die Gefühlsstürme in meinem Herzen zu sortieren. Zu den Frommen in meinem Umfeld habe ich häufig augenzwinkernd behauptet, dass Gott dort auf der Bank immer auf mich wartet. Dieser Ort war tatsächlich der spirituelle Ort in 2024 für mich. Dort, wo ich mich dem Himmel besonders nah gefühlt habe.

Umzug in 2025

Ich bin also heute das letzte Mal von unserer Wohnung aus hingelaufen. Anfang 2025 ziehen wir um. Ich werde die Bank weiter besuchen wollen, muss dann aber von der anderen Seite den Berg besteigen. Das wird ein Perspektivwechsel auf vielen Ebenen, auf den ich mich freue. Gleichzeitig bin ich genervt von der Packerei, die mit dem Umbruch einhergeht: Umzugskisten packen parallel zum Weihnachtsgeschenke packen ist bäh. Zu alldem bin ich gleichzeitig auch dabei, die Dachbox zu packen, weil wir Weihnachten bis zum Umzug im Schwedenhaus verbringen möchten. Das bedeutet also auch: Für die 6-stündige Fähre packen, Mitbringsel packen, neue Wandfarbe für die Schwedenküche und Saunaofenrohre einpacken.
Mir heute früh die Zeit auf der Bank zu nehmen, war entsprechend das Cleverste, was ich hätte tun können: Glaub mir, du willst keine zweitägige Autofahrt mit mir am Steuer erleben, wenn ich unsortiert und gestresst bin.

Heute vor zwei Jahren

Ich schob mir den dicken Wollschal unter den Po, um kommende Woche nicht mit Blasenentzündung im Schwedenwald zu sitzen, und grub die Hände in die Jackentasche – trotz Handschuhe: eiskalt! Es war heute richtig „winterkalt“. Der erste Sonntag, an dem ich auf den Kaffee verzichtete, den ich mir wie immer im Rucksack mit hochgeschleppt hatte.
Auf dem Gipfel des Berges, äh Hügels, findet an diesem Wochenende ein Weihnachtsmarkt statt. Ich habe ihn vor zwei Jahren besucht und er ist definitiv der beste der Region. Trotzdem war ich nur ein einziges Mal vor zwei Jahren dort. Ich verbinde mit dem Besuch ein dumpfes Gefühl in meiner Magengrube hinten rechts. Denn als ich vor zwei Jahren da war, hatte ich einen kranken Säugling im Kinderwagen liegen. Es war der Tag, an dem mir klar wurde, dass er nicht nur krank ist, sondern irgendwie wirklich richtig krank – ohne zu wissen, was das bedeuten möge. Ich nahm mir an diesem Tag vor zwei Jahren vor, am nächsten Morgen zum Kinderarzt zu gehen.
Dort war ich auch und wurde direkt wieder weggeschickt.

Haben Sie vor der Praxis geparkt?
Ja.
Sie haben einen vollen Tank?
Ja.
Sie wissen, wie Sie zum Krankenhaus kommen?
Ja.
Dann fahren Sie jetzt sofort los. Jetzt!

Mit so viel Gas und Herzklopfen bin ich noch nie durch die Stadt gefahren. Als ich ankam, wurde ich vom medizinischen Personal und sämtlichen Geräten empfangen.
Und das Baby?
War in der Zwischenzeit bereits blau angelaufen.

Vor zwei Jahren habe ich begriffen, wie schnell das Leben kommen und gehen kann.

Leben teilen in 2025

Heute auf der Bank auf meinem Ölberg zog das Erlebte nochmal quer durch meinen Magen. Ich ließ es zu und mir kroch die Kälte der Erinnerung und der Temperaturen in die Knochen. Meine Finger und Füße waren Eis. Aber ganz tief in mir drin spürte ich auch etwas Warmes. Mich packte in dem Moment die Dankbarkeit. Die Dankbarkeit für das Leben. Die Dankbarkeit, dieses Baby heute mit seinem Rucksack auf dem Rücken in den Kindergarten stiefeln zu sehen. Die Dankbarkeit über diese eine Person, die mich damals gesehen hat, als ich tagelang mit Baby und Schläuchen im Isolationszimmer gekämpft habe; die mir fast an jedem dieser Tage einen Kaffee aufs Zimmer gebracht hat.

Ich weiß seitdem, dass ich niemals dort im Leben wäre, wo ich heute bin, wenn es solche Menschen nicht gäbe. Wenn es niemand gäbe, der Kaffee vorbeibringt, mich mit einem Geschenk überrascht, Essen kocht und nichts dafür erwartet, ehrlich nachfragt und mich richtig ansieht.
Wir schenken so gerne und übertrieben viel an Weihnachten. Aber ich ahne seit diesem alles verändernden Dezember vor zwei Jahren, dass die wichtigsten Geschenke nicht unter dem Tannenbaum liegen. Viel wichtiger sind die Geschenke, die ich mit dem Mund formuliere, mit meinen Händen tue oder mit den Augen ausdrücke – die anderen ein Stückchen Lebendigkeit zurückgeben, die gerade Leben verloren haben oder keine Kraft für die eigene Lebendigkeit aufbringen können.

Ich wünsche dir für die zwei-null-zwei-fünf, dass du Lebendigkeit verschenken kannst und dass du in den miesen, tiefen und fiesen Zeiten von Menschen gesehen wirst, die ein Stückchen ihres Lebens mit dir teilen.

Deine Annabel

PS. In 2024 habe ich definitiv mehr Texte korrigiert, anstatt selbst zu schreiben. Das wird sich 2025 wieder ändern! 🙂

2 Antworten zu „Von 2024 zu 2025: kalte Erinnerungen, rettende Rituale und neue Ziele”.

  1. Frohe Weihnachten und eine erholsame Zeit in Schweden wünschen Euch Claudia und Uwe

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    1. Vielen Dank Claudia und Uwe. Wir hatten fantastische Tage im Norden und haben es endlich geschafft, den Holzofen in die Sauna zu bauen. Und wieder einmal staune ich darüber, was ihr dort oben in den letzten Jahren an Bauprojekten geleistet habt! Echt, Wahnsinn 🙂
      Wir genießen das Haus nach wie vor von vorne bis hinten und hoffen, ihr konntet schon eure erste Fernreise in die warme Sonne antreten.
      Viele Grüße auch von T.
      Annabel 🙂

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