SCHWEDENHAUS RENOVIEREN: WAS ES UNS NICHT KOSTET

Es war ein später Augusttag, als ich mit meiner besten Freundin von einem langen Bummeltag nach Hause ins Schwedenhaus kam. Wir waren dafür in die über-über-übernächste Stadt gefahren, weil es dort meiner Meinung nach die besten Second-Hand-Boutiquen in Blekinge gibt. Ich gehe mittlerweile tatsächlich nur an drei bis vier Tagen im Jahr neue Kleidung kaufen, und das immer im schwedischen Second-Hand-Paradies. An jenem Tag hatte ich mich mit meiner Freundin in den ersten beiden Geschäften so verausgabt, dass wir es vor Ladenschluss in keinen Dritten geschafft hatten. Aber das war in Ordnung. Wir hatten gefunden, was wir für den bevorstehenden Herbst brauchen würden (oh yes Baby, endlich eine Cord-Schlagjeans!). Und natürlich hatten wir auch ein bisschen mehr als nur das, was wir brauchten, mitgenommen (eine pinke Anzughose? Jawoll!). Daheim angekommen, stürzten wir uns ausgehungert auf die Reste im Kühlschrank und gossen den Weißwein in die soeben – selbstverständlich aus zweiter Hand – gekauften Weingläser. Bevor die Wraps mit Kühlschrankrestefüllung ihren Weg in unsere leeren Bäuche finden konnten, betete meine Freundin. Sie dankte für das Essen und beendete das kurze Gespräch mit Gott mit einem Dank, das sich auf den gesamten Tag bezog:

„Danke Gott, dass wir die Mittel und Möglichkeiten haben, so wunderschöne Schätze einkaufen zu können. Amen.“

Sie bemerkte es nicht, aber mir liefen nach diesem Satz zwei kleine Tränen die Wangen hinunter. Ich schluckte sie tapfer hinunter und erwähnte nichts, weil ich in dem Moment nichts mehr wollte, als endlich den Wrap in meinem Bauch zu spüren. Aber ja: ich war sehr berührt von diesem Gebet. Einfach nur, weil das, was sie gesagt hatte, so wahr ist. Wie unglaublich gut es uns geht, dachte ich. Sich für bewussten Konsum entscheiden zu können. Sich überhaupt Konsum leisten zu können. Teil einer Konsum- oder Wohlstandsgesellschaft, wie auch immer man unseren Zustand nennen möchte, sein zu dürfen: Das ist ein Geschenk, ein Privileg, keine Selbstverständlichkeit. Einmal mehr wurde mir klar, dass ich nichts dafür getan hatte, dass ich bin, wo ich bin. Dass es mir geschenkt worden ist, hier und jetzt leben zu dürfen.

Ich hatte niemandem etwas beweisen müssen, um in Europa geboren zu werden. Auch hatte ich mich nicht als Ungeborene um einen Platz in meiner Familie beworben, die mich in Schul- und Ausbildung unterstützt hat.

Ich habe das noch nie als selbstverständlich angesehen, wirklich nicht. Aber es gibt Momente, Zeiten, Situationen oder Gebete, die rücken die Dankbarkeit über den geschenkten Wohlstand nochmal richtig heftig tief rein ins Herz. Ich wünsche mir, dass mich diese Dankbarkeit nicht mehr so schnell loslässt. Denn sie verändert den Blick auf die Umwelt, auf das, wie man lebt und woran man arbeitet. Sie hat auch meine Perspektive auf die Renovierungsarbeiten am Schwedenhaus verändert.

Der Renovierungssommer 2025

Ich bekomme häufig die Frage gestellt, was uns der Spaß, ein hundert Jahre altes Holzhaus zu renovieren, kostet. Ich bin ehrlich: Ich weiß es nicht. Das Projekt hat keinen Finanzplan, weil es auch keinen Zeitplan hat. Und weil es kein Ziel hat. Wir schauen uns nach und nach jedes Zimmer an. Durch das Anfangen an einem Ende entstehen Ideen für das andere Ende. Vieles bleibt so, wie es war, manches darf sich verändern, für vieles kennen wir den Weg noch nicht. Wir leben im Prozess, was ich als eine unglaublich schöne Erfahrung bewerten würde – wo genau gibt es diesen Luxus überhaupt noch, sich und der Gestaltung Zeit, so richtig Zeit, zu nehmen?
Statt also beantworten zu können, wie viel uns die Renovierungen am Schwedenhaus kosten werden, kann ich beschreiben, was es uns nicht kostet: Wo wir von den vorhandenen Ressourcen und den Möglichkeiten leben und arbeiten, inwiefern wir von Menschen oder Gott beschenkt werden. Ich teile das hier mit euch, als Einladung, um den Blick mal wieder auf das zu legen, was uns im Leben einfach so geschenkt ist.

5 Dinge, die uns beim Renovieren des Schwedenhauses (fast) nichts kosten:

1. Recycling

Wir beziehen Möbel und Einrichtungsgegenstände nach und nach über Second-Hand-Geschäfte. Etwas Neues zieht ein, wenn wir etwas finden – nicht, wenn wir erkennen, dass wir es möchten. Zwischen „wollen“ und „haben“ vergeht viel Zeit. Es wird vermutlich noch Jahre dauern, bis ich einen Lesesessel vor dem Kamin, ein passendes Gästebett für das Gästezimmer oder eine Stehlampe gefunden habe. Der Recyclinghof vor Ort hat eine Verschenke-Halle. Das Motto dahinter: Bringe, was du nicht mehr brauchst. Nimm mit, was du noch brauchen kannst. Den schwarzen Rattanstühle im Foto habe ich dort gerettet, genauso wie einen alten Schultisch für Kinder, vier weitere Esszimmerstühle, Geschirr, Lampen und vieles mehr: alles kostenfrei. Nicht kostenlos, denn irgendjemand hatte es ja einmal gekauft. Und dieser feine Unterschied zeigt auch, wie das Prinzip funktionieren kann: Nämlich, wenn wir das Geschenkte wertschätzen (es nicht weiterverkaufen!) und selbst auch bereit sind, unser Aussortiertes kostenfrei anderen zur Verfügung zu stellen (anstatt dafür auf Online-Plattformen um jeden Cent zu feilen).

2. Pausen

Weil die Renovierungsarbeit am für mich schönsten Fleck Europas stattfindet, ist klar: Der Arbeitstag braucht mehr Pausen als Arbeit. Im See baden, durch den Wald schweifen, Nationalparks bewandern, Lagerfeuer machen … Abgesehen vom Kaffee, einem Tauchkurs und einem Angelschein für die Saison brauchen wir kein Geld, um Erholung zu erleben und Urlaubsmomente zu sammeln. Ich liebe den Vertrauensvorschuss, den der schwedische Staat einem mit dem Allemansrätt schenkt und mir damit ermöglicht, die Natur auf vielen Ebenen zu erleben.

3. Gemeinschaft

Die wirklich großen Renovierungsprojekte glauben wir nicht, allein schaffen zu müssen. Bei der Installation der Solaranlage lag mein Vater mit auf dem Dach, die Hausfassade wurde mit einem 11-köpfigen Team gestrichen und die Kernsanierung im Wohnzimmer haben wir nur mit der Hilfe einer sehr talentierten befreundeten Familie geschafft. Freundschaften sind nicht kostenlos, sie fallen nicht vom Himmel. Aber es kostet mich kaum etwas, außer manchmal einen Sprung über den eigenen Egoismus-Schatten, mein Talent, meine Erfahrungen oder mein Wissen zu teilen – und damit die Basis von echter, tiefer Gemeinschaft zu schaffen.

4. kaum Fixkosten

Unser Wasser kommt direkt aus dem Brunnen, Strom erzeugt die Sonne und Wärme im Haus entsteht nicht durch Heizkörper, sondern über Kamine – das Holz dafür liegt uns auf der Waldlichtung quasi vor den Füßen. Autarkie verursacht wenig Nebenkosten und entlastet, zumindest im Kopf, ungemein. Natürlich kommen auch wir nicht um Müllkosten, Steuern, Versicherungen, Schornsteinfeger, Wartungsgebühren und Co. drumherum… Well, vielleicht ist es doch mehr, als ich wahrhaben will. Dennoch: Ich würde mich immer und immer wieder für ein autarkes System entscheiden, bei dem die vorhandenen Ressourcen genutzt werden, anstatt Neue in den Wald zu bringen. Nicht bloß zur Entspannung meines Geldbeutels, sondern der Umwelt zuliebe – die wir am Ende des Tages ja auch weiterhin für unsere Pausenmomente genießen wollen. Win Win.

5. Erinnerungen

Der Renovierungssommer in Schweden begann für mich in diesem Jahr im Mai, da war der See noch saukalt und ich war bei meiner morgendlichen Runde zweifellos immer allein. Und er endete im August, da war der See heftig aufgewärmt und ich traf den See kein einziges Mal mehr in meiner geliebten Einsamkeit an. Dazwischen ist viel passiert, in Schweden und in Deutschland. Die Momente des Renovierungssommers, die in Erinnerung bleiben werden, haben am Ende weniger mit dem Ziel „Wohnzimmer verputzen“ zu tun, sondern mit dem Leben, das rechts und links vom Gipseimer passiert ist.
Es gab einige wunderbare schöne Momente in diesem Spätsommer, mit denen ich beschenkt worden bin:

Eine Bilderreihe vom Sommeranfang findest du übrigens im Artikel Schwedenhaus-Renovierung Teil 2: Fassade streichen 🔥

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7 Antworten zu „SCHWEDENHAUS RENOVIEREN: WAS ES UNS NICHT KOSTET”.

  1. Wow, was ein schöner Eintrag! Habe ich Lene mitten im Alltag beim Wäschezusammenlegen vorgelesen, und all die schönen Erinnerungen, Geschmäcker und Gerüche kamen sofort wieder (und die verstopfte Nase vom Gips schleifen).
    Danke, dass ihr uns auch in dieser Form an den besonderen Grönalund-Momenten teilhaben lasst!

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    1. Tobi, ohne dich kein Gips an der Wand. Ohne dich, keine Lampe an der Decke. Ohne dich, keine reparierte Steintreppe. Und ohne dich, würde ein viertel der schönen Erinnerungen an den Spätsommer fehlen. DANK geht zurück!

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  2. Ich verfolge mit Spannung eure „Reise“

    Ihr habt euren Hauptwohnsitz weiterhin in Deutschland, oder? Pendelt ihr dann regelmäßig hin und her für die Renovierungsarbeiten? Ich vermute, dass ihr euren derzeitigen Urlaub einfach damit verbindet und so eine Mischung aus Arbeit und Urlaub vor Ort habt? Darf ich fragen, in welcher Region euer Haus ist?

    Wünsche euch weiterhin alles gute und bin gespannt, wie es weitergeht.

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    1. Danke fürs Verfolgen :-).
      Wir leben in Deutschland, ja. Es ist ein Urlaubsprojekt. Da ich selbstständig arbeite, kann ich das auch hier und da gut kombinieren. In Blekinge ist das Häuschen, nicht weit von der Küste. Genaueres bleibt ein Geheimnis zwischen uns und dem Schwedenwald. Viele Grüße!

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      1. Danke für die Antwort. Dann ist die Fahrt mit 1200km nicht ganz so weit wie ich dachte 🙂 ich war früher viel in Mittelschweden, wunderbar dort, aber leider sehr weit und die 100kmh Tempolimit spürt man deutlich.

        Habt ihr bereits über Zugreise nachgedacht, Interrail o.ä.? Ich gehe jetzt mal davon aus, dass ihr bisher mit dem Auto reist, schon allein der Werkzeuge usw. wegen für all die Renovierungsarbeiten.

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      2. Danke für die Antwort. Dann ist die Fahrt mit 1200km nicht ganz so weit wie ich dachte 🙂 ich war früher viel in Mittelschweden, wunderbar dort, aber leider sehr weit und die 100kmh Tempolimit spürt man deutlich.

        Habt ihr bereits über Zugreise nachgedacht, Interrail o.ä.? Ich gehe jetzt mal davon aus, dass ihr bisher mit dem Auto reist, schon allein der Werkzeuge usw. wegen für all die Renovierungsarbeiten.

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      3. Oh ja du sagst es, Mittelschweden und auch der Norden sind toll. Rund um Östersund ist meine absolute Lieblingsregion in Schweden. Leider so sehr weit leider. Mit dem Zug hochfahren: Das werde ich in Zukunft auf jeden Fall auch machen wollen :-).

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