Zuhause ist dort, wo ich Leben teilen kann

Marlene ist eine Freundin, der ich mich immer sehr nahe fühle. Wirklich immer! Obwohl sie örtlich gesehen weit von mir entfernt ist. Denn seit fast drei Jahren lebt sie auf Gran Canaria und fühlt sich dort zu Hause. Was ihr dabei geholfen hat, in einer fremden Kultur ein Zuhause aufzubauen, teilt Marlene in diesem Gastbeitrag. Enjoy!


*Ein Gastbeitrag von Marlene de Vries

Die Haustür fällt ins Schloss, ich ziehe den Koffer klappernd über den schmalen Bürgersteig vor unserer Wohnung in Las Palmas. In mir explodiert eine gewaltige Vorfreude: Vor mir liegt eine Woche Urlaub in Deutschland. Neben meinem minimalistisch gepackten Koffer nehme ich auch eine Frage mit auf meine einwöchige Reise: Was ist mein Zuhause? 
Ich möchte in mich hineinhören und dem Gefühl von „zu Hause sein“ auf den Grund gehen, sozusagen eine Expedition antreten und den Ort finden, an dem ich mich wohl und ‚daheim‘ fühle

Der Zeitpunkt, an dem die spanische Insel mein Zuhause wurde

Im Flugzeug blicke ich aus dem Fenster und sinne darüber nach, wie ich „Zuhause“ definieren würde. Im Duden nachschlagen kann jeder. Ich will selbst herausarbeiten, was die Merkmale von einem Zuhause für mich sind. Dabei fällt mir auf, dass sich meine Definition über die letzte Zeit durchaus verändert hat. In den vergangenen fünf Jahren habe ich in fünf verschieden Wohnungen gewohnt, drei davon im Ausland, auf einer kanarischen Insel. 

Als ich gemeinsam mit meinem Mann vor knapp drei Jahren nach Gran Canaria gezogen bin, wäre meine Definition von Zuhause wohl gewesen: Zuhause ist der Ort, an dem sich der größte Teil der Gegenstände befindet, die für mich einen ideellen Wert haben. Denn damals habe ich jeden freien Zentimeter im Koffer genutzt, um die Dinge mitzunehmen, die mich an mein Zuhause erinnert haben
Eine hölzerne Blumenampel zum Beispiel, die in unserer letzten Wohnung in Deutschland unterm Dachfenster hing. Es war mir wichtig, ein Gefühl der Vertrautheit mitzunehmen. Ich war fest davon überzeugt, dass Einrichtungsartikel in mir ein heimisches Gefühl hervorrufen würden – auch in der Fremde. 

Zwei Jahre später merke ich: Die Blumenampel kam nie richtig zum Einsatz. Es gab weder einen passenden Ort in den Wohnungen, noch die passenden Blumentöpfe in den drei Baumärkten, die ich abgesucht hatte. Fühlte ich mich deshalb weniger zu Hause? Ehrlich gesagt nicht. Stattdessen hat sich meine Vorstellung davon verändert, was zu Hause bedeutet.

Es geht nicht um die Gegenstände, welche die Räume füllen, sondern um die Menschen, denen ich darin begegne

Der Zeitpunkt, an dem sich die Kanarischen Inseln für mich wie mein Zuhause angefühlt haben, ist ein ganz bestimmter: Der Moment, an dem meine Familie, meine zwei besten Freundinnen und sogar meine Oma mir einen Besuch abgestattet hatten. 

Zuhause ist also nicht die Wohnung mit dem perfekten Grundriss und einer hippen Einrichtung, sondern es ist der leere Raum, der Platz bietet, um Menschen in meinem Leben willkommen zu heißen. Die ehrlichen Gespräche, die gemeinsamen Mahlzeiten, das Lachen und die Erinnerungen an schöne Momente füllen die Räume mit meinem Gefühl zu Hause zu sein. Menschen machen ein Haus zum Zuhause. 

Der Unterschied zwischen Heimat und Zuhause

Zurück zu meiner Expedition: Mittlerweile sitze ich mit meinem Mann im Auto, müde vom Flug und der Autofahrt über die A8. Neben mir schläft mein Sohn ruhig in seinem Kindersitz und wir biegen um die Kurve. Genauer gesagt um die letzte Kurve, welche in die Straße mündet, in der ich aufgewachsen bin. Die vertrauten Häuser und das bekannte Straßenbild erzeugen in mir das Gefühl, heimzukommen. Es fühlt sich schrecklich gewohnt und vertraut an, diese letzten Meter bis zum Gartenzaun zurückzulegen und die warmen Lichter der Küchenfenster zu sehen, hinter denen sich die Silhouette meiner Familie abzeichnet. Ich bin daheim angekommen. 

Als Kind litt ich lange Zeit unter Heimweh. Schon eine Übernachtung bei meiner Oma wurde zu einer echten Herausforderung für mich. Damals machte sich ein drückendes Gefühl in meiner Brust breit und ich konnte weder schlafen noch essen, weil mich der Gedanke heimzuwollen, nicht losließ. Klar, inzwischen ist das Heimweh schwächer geworden und dennoch nie ganz weggegangen
In immer unregelmäßigeren Abständen kommt noch dieses Gefühl in mir hoch. In den vergangenen Jahren auf Gran Canaria verlor ich immer wieder meine Gedanken an Dinge, die ich in Deutschland vermisse, telefoniere vermehrt mit meiner Familie und merke: Es ist mal wieder an der Zeit, heimzufahren. 

Heimisch fühle ich mich nach wie vor an den Orten, die von schönen Kindheitserinnerungen geprägt sind.

Ein vertrautes Gefühl, das vom Geruch von frisch gebackenen Brezeln auf der Straße vor einer Bäckerei hervorgerufen wird. Oder von einem Spaziergang durch die herbstlichen Wälder. Oder der badische Singsang in Gesprächen mit Freunden und Familien. Das ist meine Heimat, – auch wenn mein Zuhause inzwischen Tausende Kilometer weit entfernt auf einer Insel liegt.

Loslassen, um anzukommen

Einen Tag später stehen mein Mann und ich auf einem dunklen Speicher und blicken im Halbdunkeln auf einen Stapel Umzugskartons. Darin befinden all die Dinge, die wir vor unserer Ausreise als zu wichtig angesehen haben, um sie wegzuwerfen. Jeden Einzelnen davon öffnen wir und prüfen den Inhalt. Perplex darüber, wie schnell Dinge an scheinbarem Wert verlieren können, packen wir ohne zu Zögern gut ein Drittel der Klamotten, Schuhe, Zeitschriften und anderen Krams in große Müllbeutel, um sie anschließend wegzugeben. 

Ich merke, wie sich in mir eine Leichtigkeit ausbreitet. Ein bisschen so, als würde ich Ballast abschmeißen und dadurch an Freiheit gewinnen.

Scheinbar haben diese Umzugskartons in meinem Unterbewusstsein immer wieder den Satz geflüstert: Lene, wir warten hier auf dich. Auf den Tag, an dem zu wieder nach Hause kommen willst. Sie waren eine Art unbemerkter Ankerpunkt, der mich emotional immer wieder in meine alte Heimat ziehen wollte. Für den Fall, dass mich der Mut verlässt oder das ungewohnte Leben auf der Insel zu herausfordernd werden würde. 

Zuhause als Teil eines durchdachten Plans

Vor vielen Jahren habe ich eine Liedzeile aus dem Titelsong meiner Lieblingsserie „Gilmore Girls“ zu einer Art Lebensmotto gemacht: „Where you lead, I will follow“ (auf Deutsch: Wohin du mich führst, dahin will ich folgen.) 

Für mich drückt dieser Satz Vertrauen aus. Egal an welchen Orten und in welchen Wohnungen ich in meinem Leben landen werde, bin ich davon überzeugt: Es ist kein Zufall, sondern Teil eines gut durchdachten Plans, mich genau an diesem Platz haben zu wollen. Vielleicht ist es ein Leben mit vielen Umzügen, oder irgendwann ein Häuschen im Süden Deutschlands, keine Ahnung. Aber meine neugewonnene Definition von Zuhause erlaubt mir, überall dort anzukommen, wo ich mein Leben mit den Menschen teilen kann, die mir wichtig sind. Blumenampel hin oder her. 

Summa summarum ist mein Fazit all der Gedanken über Zuhause wie folgt: 
Erstens: Zuhause definiert sich nicht durch die Dinge, die deinen Wohnraum füllen, sondern durch die Menschen, denen du darin begegnest. 
Zweitens: Es gibt einen Unterschied zwischen Heimat und zu Hause. Dass mein Heimatgefühl für immer an dem Ort bleibt, an dem ich aufgewachsen bin, ist okay, denn es ist dennoch möglich, an einem anderen Ort zu Hause zu sein. 
Drittens: Es ist hilfreich, sich von den Dingen zu trennen, die uns davon zurückhalten, in unserem (neuen) Zuhause anzukommen.

Ende der Expedition.

Autorin: Marlene de Vries

🏝 PS. Du willst mehr über Marlenes Inselleben wissen? Dann schau unbedingt mal auf ihrem Blog vorbei.

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