Vier Jahre Elternzeit: Das Ende von 1.461 langen Tagen

In den Ostertagen sind die schlechten Nachrichten nur so auf mich eingebrochen: Eine Krebsdiagnose im Umfeld, der Verlust eines Menschen und dann – definitiv das geringste Übel, aber eben der bekannte letzte Tropfen – ein Anruf aus Schweden: „Someone was in your house.“ Chapeau! Damit hätte ich wohl alle Sorgen und Ängste dieser Welt in einer Woche gespürt. Der Verlust ist da. Auf vielen Ebenen. Die Schweizer Berge, in denen ich mich in dieser Osterwoche befand, rückten gefährlich nahe. Es wurde eng. In mir und um mich herum.

Eigentlich hätte ich also gerade genug zu tun, innerlich und äußerlich. Zum Beispiel, mein Schwedenhaus noch einbruchsicherer zu machen oder sicherzustellen, dass ich beim nächsten Mal vor Ort bin, um die Langfinger mit einer Tasse Filterkaffee begrüßen zu können. Aber in diesen Tagen nach Ostern fehlt mir die Muße, nach vorne zu schauen und so werfe ich lieber einen Blick zurück. Da wartet ohnehin seit einem halben Jahr der Stapel „Elternzeit sortieren“ auf mich.

Vor einem halben Jahr habe ich ein für mich sehr großes Kapitel beendet: Vier Jahre Elternzeit. Vier Jahre am Stück „Zuhause“. Vier Jahre 24/7 Dauerfürsorge, Dasein, mich kümmern, Care-Arbeit. Einen Minieinblick in meine Sortierung gebe ich heute. Es sind nur drei ausgewählte Gedanken. Es braucht nicht noch mehr Tipp-Artikel für eine möglichst optimierte Elternzeit. Viel lieber teile ich, woran ich in den letzten Jahren gewachsen bin. Denn das ist der Anfang der Elternschaft vor allem für mich: Ein Wachstum, der keine Abkürzungen erlaubt.

Vier Jahre in drei Wachstumsprozessen:

1. Vier Jahre Elternzeit sind 1.416 lange Tage, die sehr schnell vorbeigehen

Mit Blick auf das ganze Leben sind vier Jahre eine Nichtigkeit. Diese vier Jahre Elternzeit waren jedoch nicht einfach Nichts. Diese vier Jahre bestanden aus endlos vielen Wiederholungen und sind dennoch gerast. Die Tage waren befreit von dem ewigen Druck eines überfüllten Outlook-Kalenders und gleichzeitig gefüllt von dem Druck, meine Kinder gut genug durch den Tag zu begleiten. In diesen vier Jahren hatte ich die Freiheit, immer dann rauszugehen, wenn sich die Sonne hinter den Wolken durchgekämpft hat – Halleluja. Und gleichzeitig fühlte ich mich ständig gefangen in den eigenen vier Wänden. Ich durfte 48 Monate lang am Stück meinen Hauptfokus auf eine Sache legen und war gleichzeitig am Jonglieren zwischen den unterschiedlichen Aufgaben als Mutter, Ehefrau, leidenschaftliche Freiberuflerin und Freundin.

Ich musste lernen, mir zu erlauben, dass ich diese Lebensphase als sehr leer und gleichzeitig viel zu voll empfinde; dass ich das Alleinsein mit den Kids genieße und mich gleichzeitig oft einsam fühle; dass ich an diesen 1.416 Tagen viel zu oft überfordert gewesen bin und mir gleichzeitig die Herausforderungen gefehlt haben. Und dass ich immer wieder am Ende eines sehr langen Tages feststellen musste, dass der Tag trotzdem zu kurz für vieles gewesen ist. Ich bin in diese Gleichzeitigkeit des Lebens reingewachsen. Ich habe gelernt, dass es so sein darf.

2. Was ich in meiner Elternzeit bereut habe

Im Februar habe ich mein „Ich hab die vier Jahre geschafft“-Jubiläum allein am Strand von Las Palmas mit einem Urlaub für mich gefeiert. Als ich da so lag und niemandem erklären musste, dass ich erst lesen möchte, bevor ich eine Sandburg baue, nahm ich wahr, dass ganz schnell Reue nach dem Schlussstrich eines solchen Kapitels kommen kann. Darüber, was ich beim nächsten Mal anders tun oder gar nicht tun würde. Auch wenn ich weiß, dass mich alle Hätte, Wenn und Abers im Nachhinein wenig voranbringen, war das ein interessanter Gedankengang für mich.

Zunächst fielen mir ganz flache Situationen ein, wie die aus der Deutschen Bahn: Als ich meinen Säugling auf dem Boden einer überfüllten Regionalbahn gestillt habe, neben mir mein Kleinkind auf wackeligen Beinen stehend, anstatt um einen Sitzplatz zu bitten. Ja, ich würde beim nächsten Mal weniger „geht schon“ sagen und mehr für uns einstehen. Das hätte es mir leichter gemacht, teilweise wäre es auch wichtig gewesen. Es ist schade, dass ich nicht nach Hilfe gefragt habe. Das möchte ich mehr lernen. Aber was ich in meiner Elternzeit wirklich bereue, ist etwas ganz anderes.

Es sind die Entscheidungen und Situationen, wo ich eine Abzweigung im Eltern-Labyrinth gewählt habe, die überhaupt nicht zu unserem Ziel gepasst hat, aber von der ich gehofft habe, dass ich mich hinterher „besser“ fühlen würde. Ich bin in den letzten vier Jahren in den Gedanken reingewachsen, dass der Antreiber „es besser machen als“ in der Elternschaft nicht greift. Es „besser zu machen“ führt nur noch tiefer in ein fieses Labyrinth und bringt einen nie da raus, wo man eigentlich hingehört. Ich bin noch immer dabei, mich von diesem Antreiber zu lösen.

3. Missverständnisse der Elternzeit, über die ich gestolpert bin

Mein Wachstumsprozess mit der Nummer Drei besteht darin, mich von manchen Sätzen, die in mein Elternzeit-Leben gesprochen wurden, zu verabschieden. Solche, die ich zu lange als „wahr“ oder als „Maßstab“ empfunden habe; solche, die unreflektiert ausgesprochen wurden und zu Missverständnissen geführt haben. Diese drei zum Beispiel:

„Spätestens wenn dein Kind da ist, wirst du die Schmerzen vergessen.“

Ja, das habe ich kurzzeitig am Anfang geglaubt. Dann jedoch musste ich feststellen, dass ich Schmerzen nicht einfach vergesse und dass Narben bleiben. Ich kenne das Gefühl, das Baby nach dem Geburtsprozess nicht direkt umschließen, sondern allein sein zu wollen. Kinderbekommen und Schwangerwerden hat nicht unbedingt etwas mit „Liebe auf den ersten Blick“ zu tun. Ich weiß auch, wie viel Scham in einem ist, weil man dem „Liebe auf den ersten Blick“-Gerücht doch Glauben schenkt. Glaubt es einfach nicht. Basta. Liebe darf ein Prozess sein.

„Ich würde das alles nicht schaffen.“

Von vier Jahren Elternzeit bin ich fast zwei Jahre lang, am Anfang stündlich, dann irgendwann alle zwei Stunden aufgewacht und habe um 5 Uhr den Tag begonnen. Das macht einen krank. Wenn ich also mit meinen Augenringen des Jahrhunderts im Supermarkt stand und mir eine Bekannte im Vorbeigehen ein „Ich würde das nicht schaffen“ zugesprochen hat, dann hat das nicht aufgebaut, sondern mich allein fühlen lassen. Was mir stattdessen geholfen hätte? Sätze wie „Ich nehme wahr, dass du gerade viel schaffen musst.“ oder „Ich kann mir vorstellen, dass du das Gefühl hast, dass alles nicht zu schaffen ist.“

„Bier? Wie echt? Du stillst jetzt schon nicht mehr?“

Hajoooo Fettnäpfchen gibt es genug bei den Themen Schwangerschaft, Geburt, Stillen, Kindererziehung. Ich erwarte nicht, dass ein Gast auf der Gartenparty weiß, dass es Situationen gibt, in denen man abstillt, um sich selbst zu retten. Aber ich erwarte, dass wir Wertungen in Fragen minimieren.
Diese Frage ist eine Bewertung und keine Interessensfrage.
Ich habe vier Jahre gebraucht, um zu lernen, nach solchen Sätzen nicht in Tränen auszubrechen, sondern mich abzugrenzen und die Bierbestellung zu wiederholen.

Drei Gedanken zu vier intensiven Jahren. Soweit für heute. Ich fühle mich unglaublich privilegiert und gesegnet mit diesen Jahren. Am Ende aller Reflexion steht ein dickes fettes Grinsen und eine tiefe Dankbarkeit – das ist wohl eine der schönsten Erkenntnisse.
Einblicke in meine Elternzeitgedanken der letzten Jahre findest du unter anderem in diesen beiden älteren Beiträgen:

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